Was sind die Schlüsselfaktoren, die Operational Excellence im Vertrieb und Marketing ausmachen? Was in der Fertigung schon seit vielen Jahren Gegenstand zahlreicher Verbesserungsprojekte mit einem umfangreichen Methodenset ist, ist bei den Entscheidern im Vertrieb und Marketing noch nicht im Unternehmensalltag angekommen. Operational Excellence ist nur dann zu erzielen, wenn Aufgaben des Qualitätsmanagements auch für die Funktionsbereiche des Vertriebes bearbeitet werden. Es geht im Unternehmen nicht nur um die Qualität der Produkte, sondern auch z.B. um die Qualität des Kundendialoges. Diese Fragestellung hat Michael J.Webb mit Robert Ferguson bereits 2008 in einem Blog-Beitrag ausführlich erörtert, auf den hier umfassend Bezug genommen wird.
Während notwendige Verbesserungen in der Fertigung heute auf der Basis detailliert erhobener Fakten im Produktionsprozess vorgenommen werden, dominieren im Vertrieb und Marketing persönliche Einschätzungen und Bewertungen als Ausgangsbasis für Verbesserungen, ohne dass diese Aussagen ausreichend validiert und Ursache-Wirkungsbeziehungen umfassend ermittelt werden. Dabei ist Operational Excellence das Ergebnis angewandter wissenschaftlicher Erkenntnisse des Qualitätsmanagements, die – konsequent umgesetzt – nachhaltig Wachstum und Ertrag in Unternehmen sicherstellen.
Wenn für die Fertigung verantwortliche Führungskräfte gefragt werden, wie sich ihr Geschäft entwickelt, können Fortschritte anhand von konkreten Zahlen zur Reduktion von Durchlaufzeiten, Ausschuss, Materialverbrauch etc. benannt und in ihren finanziellen Auswirkungen dargestellt werden. Ihre Aussagen basieren im Regelfall auf Fakten und sind daher überprüfbar.
Ganz anders dagegen wird diese Frage im Vertrieb beantwortet: oft wird ein jüngst erzielter Vertragsabschluss zitiert und behauptet, man liege gut im Plan. Leider decken sich die Erwartungen und Annahmen später nicht mit den erzielten Ergebnissen. Viele Vertriebsorganisationen haben bedauerlicherweise ein unzureichendes Verständnis von dem, was letztlich zu ihrem Vertriebserfolg führt – oder zu deutlichen Abweichungen vom Plan.
An vier Themen sei dies exemplarisch gezeigt, die in der Praxis zu unterschiedlichen Interpretationen führen:
1. Was ist ein Lead?
Gibt es im Unternehmen hierüber ein gemeinsames Verständnis? Wenn Mitarbeiter im Vertrieb und im Marketing eine auf das eigene Unternehmen bezogene Lead-Definition erstellen, stimmen diese selten überein. Damit wird klar, dass die vom Marketing generierten Leads beim Vertrieb nicht zwingend auf Akzeptanz stoßen. Dass die Vertriebsperformance und die erzielten Erträge nicht optimal sein können, leuchtet sicher jedem Betrachter ein.
2. Welche offenen Aufträge werden sicher abgeschlossen?
Wie sicher ist die Auftragsprognose über alle bearbeiteten Aufträge in ihren unterschiedlichen Bearbeitungszuständen? In der Praxis ist die Auftragsprognose leider sehr ungenau. Mit einfachen Mitteln kann aber eine kurz- und mittelfristige Auftragsprognose erstellt werden, die zu 90% stimmt und damit eine validere Planungsgrundlage für das Unternehmen darstellt.
3. Welche Verbesserungen im Vertriebsprozess funktionieren?
Wenn die Auftragseingänge und Umsätze der vergangenen zwei Jahre den Veränderungen gegenübergestellt werden, lassen sich daraus Ursache-Wirkungs-Beziehungen ableiten? Wird eine Analyse der verlorenen Aufträge vorgenommen, um die relevanten Gründe hierfür herauszufinden? Hierüber gibt es nur selten systematische und valide Zahlen mit nachvollziehbaren Interpretationen.
4. Wieviele Vertriebsinitiativen haben nicht die gewünschten Resultate gebracht?
Produkt-Präsentationen, Promotionskampagnen, Aktionen zur Lead-Generation und weitere Initiativen zur intensiven Marktbearbeitung bringen häufig nicht die gewünschten Ergebnisse und bilden ein chronisches Problem in vielen Unternehmen. Der Aktionismus bindet wertvolle Vertriebs- und Service-Kapazitäten, ohne die erhofften Ergebnisse zu bringen.
Wenn ein Leiter Fertigung die für seine Funktion vergleichbaren Fragen gestellt bekommt,
- Wie könnten Mitarbeiter der Einkaufsabteilung und Mitarbeiter der Fertigung das gleiche Verständnis zum Begriff Rohmaterial erzielen?
- Wie wird die Genauigkeit des Produktionsforecast verbessert?
- Wie haben sich die Modifikationen des Fertigungsprozesses auf die Produktqualität und die Stückkosten ausgewirkt?
- Welche Verbesserungsprojekte in der Fertigung haben ihre Ziele erreicht und welche nicht?
wird er diese gewöhnlich beantworten und belegen können, weil es mittlerweile in Unternehmen ein tiefes Verständnis der Fertigungsprozesse gibt. Dies ermöglicht eine genaue Messung der Umwandlung von „Rohmaterialen“ in „Halbzeuge“ bis hin zu „Fertigprodukten“ in jeder Stufe des Fertigungsprozesses.
Was heißt dies für Marketing und Vertrieb, wenn aus einem Lead ein attraktiver Kundenauftrag gewonnen werden soll?
1. Für Kundenreaktionen sorgen
Marketing, Vertrieb und Kundenservice leisten jeweils ihren Beitrag zur Kundenzufriedenheit. Der Wert für den Kunden wie auch für das eigene Unternehmen ist an den konkreten Kundenreaktionen abzulesen. Eigene Aktivitäten ohne messbare Kundenreaktion schaffen keine Werte und sind daher kritisch zu hinterfragen..
2. Abteilungsübergreifende Prozesse organisieren
Der Kunde erlebt das Unternehmen nicht nur an der Schnittstelle Vertrieb und Marketing, sondern auch an vielen anderen Punkten. Deshalb ist eine Optimierung einer Funktion im Unternehmen – z.B. Marketing oder Kundenservice – mit Blick auf den Kunden nicht ausreichend. Unternehmen wirken als System auf den Kunden und erzeugen dort Zufriedenheit oder Kritik. Das System besteht aus gut miteinander zusammenarbeitenden Abteilungen, die ihren jeweiligen Wertbeitrag für den Kunden zu erbringen haben. Abteilungsegoismen wirken dem entgegen.
3. Aktivitäten und Ergebnisse transparent machen
Begriffe des vertrieblichen Tagesgeschäftes benötigen eine präzise Definition : es muss allen Beteiligten klar sein, was z.B. ein „Lead“ oder ein „qualifizierter Interessent“ ist. Unscharfe Begriffe verhindern klare Aussagen mit eindeutigen Inhalten und valide Messergebnisse. Das gilt auch für die Abarbeitung der Vertriebsprozesse: jeder Beteiligte muss seine Rolle kennen, nur verläßliche Teamarbeit sichert den Kundenabschluß.
4. Ergebnisse mit Zielen rückkoppeln
Vertriebs- und Service-Prozesse müssen mit den Beteiligten bis in das konkrete Todo und das konkrete Dokument sowie das zu nutzende Werkzeug bestimmt sein. Es muss klar sein, wie der Vertrieb seine Tagesaufgaben löst, seine Lösungsansätze variiert und warum. Mit der Kenntnis des realen Vertriebsprozesses, seinen Zielen und Ergebnissen wird erst eine konkrete Verbesserung möglich.
Warum sollen Unternehmen die Anstrengung für „Operational Excellence“ auf sich nehmen?
1. Das Wissen über Kundenreaktionen wird präziser und steht zeitnaher zur Verfügung.
2. Anregungen von Kunden und Verkäufern wird das Wissen im Unternehmen verbessern, wie in den relevanten Teilmärkten mehr und schneller Umsatz zu erzielen ist.
3. Unternehmen verstehen ihre Engpässe besser und erkennen die positiven finanziellen Auswirkungen von Veränderungen in ihren (kundennahen) Prozessen.
4. Die Unternehmensrisiken sinken signifikant, da Erkenntnisse aus den Bereichen Produktion, Marketing, Vertrieb etc. in die Entscheidungsfindung einfließen.
Damit werden die Prognose und die Stabilität finanzieller Ergebnisse im Unternehmen sicherer und erhöhen die wirtschaftliche Profitabilität. Operational Excellence im Vertrieb und Marketing leistet somit auch seinen Beitrag für das Risikomanagement im Unternehmen.