In allen produzierenden Branchen hat das Buch von James Womack und Daniel Jones „Lean Thinking“ das Management und die Organisation dieser Unternehmen stark verändert und die Produktivität und das Reaktionsvermögen auf Marktveränderungen deutlich verbessert.
MIt Blick auf Verkaufsprozesse war es zunächst fraglich, ob schlanke Verkaufsprozesse den Auftragseingang verstetigen und den Auftrags-Forecast sicherer machen konnten. Jim Womack, Autor von „Lean Thinking“ schrieb schon vor 15 Jahren mit Recht, es käme darauf an, den Verkaufsprozess daraufhin zu überprüfen, wie Verkäufe getätigt und Aufträge abgewickelt werden.
Michael J.Webb schreibt auf seinem Blog „Six Sigma Selling“ unter dem Artikel „Can You Lean The Sales Proces“, aus dem hier im folgenden ausführlich zitiert wird, dass Verschwendung in den Vertriebs- und Marketingprozessen dafür verantwortlich sei, dass unnötig viel Energie verbraucht und der Ertrag dadurch reduziert würden. Mit Blick auf die durchschnittlich sehr schlechten Hitraten (Verhältnis von gestarteten zu abgeschlossenen Aktivitäten zur Auftragsgewinnung) im Vertrieb lässt sich das in der Praxis nur bestätigen.
Was sorgt im einzelnen für Verschwendung von Ressourcen im Vertrieb?
- Entwicklung und Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen, die die Bedürfnisse der Kunden nur unzureichend erfüllen.
- Werbekampagnen und Maßnahmen zur Markenprägung, die keine meßbaren Kundenreaktionen verursachen.
- Marketing-Kampagnen und Road-Shows, die eine große Zahl von Interessenten generieren, die nicht konsequent vom Vertrieb verfolgt werden bzw. die keine ausreichend qualifizierten und damit potenzialschwache Kandidaten darstellen.
- Verkaufsmannschaften, die in ihrem zugeordneten Verkaufsgebiet Zeit und Geld für falsche Interessenten aufwenden, die vor Beginn vertrieblicher Aktivitäten nicht ausreichend qualifiziert wurden.
- Kostenintensive Angebotserstellung für Interessenten und Kunden, ohne Prüfung von Kundenpotenzial (wirtschaftliches Vermögen und Entscheidung) und Kaufbereitschaft (Entscheidung, ein Problem lösen zu wollen) .
- Behandlung wiederholter Kundenreklamationen aufgrund von Produktmängeln, ohne sukzessive Produktverbesserungen und Einfluss auf die Neuentwicklung von Produkten.
Es gibt daher mehrere gewichtige Argumente, sich intensiv mit der Qualität von Vertriebsprozessen zu beschäftigen und sich die Fragen zu stellen, was wird aus Kundensicht eigentlich als Wertbeitrag des Vertriebes erachtet?
Wertschöpfung im Vertriebsprozess für den Kunden
Warum sollte ein Interessent oder auch Kunde Aufmerksamkeit, Zeit und Informationen einbringen, wenn es nicht einen wichtigen Grund hierfür gäbe? Natürlich können Vertriebs- und Marketingaktivitäten für die Zielgruppe einen Mehrwert bedeuten und einen wichtigen Beitrag zur Entscheidungsfindung leisten. Was wäre der Kunde denn hierfür bereit, zu zahlen? Diese Frage ist der Dreh- und Angelpunkt für die Kundenakzeptanz vertrieblicher Maßnahmen, da hier der Wertbeitrag der Vertriebs- und Marketingaktivitäten für die Zielgruppe deutlich wird oder auch nicht. Und damit stehen und fallen der Marktanteil, das Wachstum und die Profitabilität des eigenen Geschäftes.
Lange bevor potenzielle Käufer bereit sind, Aufträge zu erteilen und Geld auszugeben, prüfen sie aufmerksam, sammeln Informationen, stellen Fragen und entscheiden darüber, was sie wünschen oder auch nicht wünschen. Werte für den Lieferanten und den Kunden werden so jeden Tag geschaffen oder vernichtet, indem über Anbieter, ihre Angebote und ihre handelnden Personen geurteilt wird.Ist das Angebot passend, lohnt es sich, jetzt und zukünftig Zeit zu investieren und gibt es Vertrauen.
In einer Fabrik ist der Prozess der Wertschöpfung mit Händen zu greifen: aus Rohstoffen und Vormaterialien werden bearbeitete Werkstücke, die zu Komponenten oder auch ganzen Maschinen komplettiert werden. Jeder Prozessschritt dieser Wertschöpfung ist transparent und messbar.
Die meisten Menschen glauben, Vertrieb und Marketing seien eher eine Kunst, denn eine Wissenschaft und entzögen sich damit der Messbarkeit. Das ist falsch, auch der Durchlauf eines Vertriebsprozesses ist erfassbar und messbar, es bedarf nur geeigneter Werkzeuge, die dies in der Praxis auch ermöglichen. Und es erfordert Führungskräfte, die auf beharrliche Umsetzung drängen.
Interessenten und Kunden fragen sich im Hinblick auf Kaufentscheidungen stets:
- auf welches Problem soll ich mich konzentrieren?
- wie sehen die Lösungsalternativen aus?
- was sind die Vor- und Nachteile einzelner Lösungen?
- wie sehr kann ich den Informationen dazu trauen?
- wer sollte noch in die Problemlösung eingebunden werden?
- was sollte ich jetzt als nächsten Schritt tun?
Wer eine Aufgabe lösen muss, beschafft sich Informationen aus verschiedenen Quellen und sucht Gespräche mit passenden Anbietern, prüft deren Angebote etc. Der Interessent durchläuft auf dem Weg zu einer Problemlösung verschiedene Stationen eines Prozesses, dessen Entsprechung auf der anderen Seite, nämlich auf der Seite des Verkäufers, Verkaufsprozess heißt. Am Beginn eines Verkaufsprozesses steht die genaue Aufnahme der Kundenaufgabe oder des Kundenproblems – daran hapert es in der Praxis oft sehr, sodass alle nachfolgenden Prozessphasen mit dem erheblichen Mangel behaftet sind, dass der Verkäufer mit seinen Vorschlägen nicht präzise trifft, da er diese wichtigen Informationen nicht vom Kunden erhoben hat. Verkäuferische Aktivitäten und Ressourcen werden so verschwendet, sie laufen ins Leere. Wer dies erkennt, kann seinen Verkaufsprozess verändern und kommt für sich und seinen Kunden viel effizienter zum Ziel. Beide Seiten profitieren von diesem Wertzuwachs: ein genaues Angebot trifft und der Kunde erhält eine präzise passende Lösung seines Problems.
Mehr Transparenz in den Vertriebsprozessen notwendig
So wie früher der Fortschritt in den einzelnen Prozessphasen der Fertigung nicht sauber gemessen wurde, so passiert dies heute noch im Vertrieb – mit den gleichen unerwünschten Konsequenzen wie damals in der Fertigung. Verschwendung läßt sich aber auch in Vertriebsprozessen beseitigen, indem die einzelnen Phasen des Prozesses genau betrachtet werden, nicht Wertschöpfendes wird erkennbar und der Prozess kann modifiziert werden.
An dieser Stelle ergänzt der Autor die Aussagen von Michael J.Webb: die in den einzelnen Prozessphasen des Vertriebes verborgene Kundenkommunikation bedarf ebenfalls der Ausleuchtung, weil die Gesprächsführung – hier insbesondere die Fragetechnik – einen entscheidenden Einfluß darauf hat, wie präzise Kundenwünsche aufgenommen werden und wie sich Verkäufer und Interessent für den nächsten Schritt zum Abschluß vereinbaren. Die Logik ist die gleiche: stringente Gesprächsführung, ohne um den heißen Brei des anvisierten Abschlusses herumzureden, spart dem Kunden und dem Verkäufer Zeit und läßt erkennen, unter welchen Bedingungen der Kunde kaufen würde.
Vertrieb und Marketing profitieren vom „Lean Thinking“
Führungskräfte, die in Prozessen und in Wertschöpfungskategorien denken und handeln, werden ihre Marketing- und Vertriebsorganisationen erfolgreicher lenken. Die unterschiedlichen Antworten des Marktes auf Marketingkampagnen und die unterschiedlichen Hitraten einzelner Vertriebsmitarbeiter ermöglichen nur dann gezielte Verbesserungen, wenn genau genug gemessen werden kann. Auch der Einsatz von unterschiedlichen Marketing- und Vertriebsinstrumenten kann besser abgestimmt werden, weil sie genauer in die Prozesse eingebunden sind und ihr Wertschöpfungsanteil vorher definiert wurde. Es heißt dann nicht mehr pauschal CRM Software oder Verkaufstraining, sondern möglicherweise beides an seiner wichtigen Stelle im Prozess in richtiger Dosierung.
Zahlreiche Beispiele aus der Praxis belegen, dass eine präzise Informationsaufnahme in einem Vertriebsprozess davor schützt, längst verlorene Interessenten zeit- und kostenaufwändig weiter zu bearbeiten und auf der anderen Seite sich rasch von Interessenten zu verabschieden, die kein wirtschaftlich attraktives Potenzial für einen selbst liefern. Darüberhinaus steigt die Erfolgsquote deutlich an, wenn potenzialstarke Kunden die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen, und den Prozess einschließlich der Kommunikation vom Verkäufer als wertschöpfend empfinden.
Diese Vorgehensweise ist ebenfalls sehr erfolgreich in der Bestandskundenbasis. Untersuchungen in Unternehmen ergaben, dass die Kundenprofitabilität dort sehr unterschiedlich ist. Mit der Analyse der Ertragspotenziale im Vertrieb und der Leistungserstellung wurden Verbesserungen konkret sichtbar, die in erheblich besserer Profitabilität umgesetzt werden konnten.